Gegen den Strom – HTGF-Portfoliofirma SciRhom mit 63 Mio. EUR Serie A-Finanzierung für Mut belohnt

Im Juli noch eine der größten Finanzierungsrunden in der deutschen Biotechnologie des laufenden Jahres verkündet, startet bald die klinische Erprobung des ersten Medikaments des HTGF-Portfoliounternehmens SciRhom. Der einzigartige Therapieansatz der Firma zielt auf einen zentralen Knotenpunkt des Immunsystems ab. Im Gespräch geben Firmenmitgründer und heutiger SciRhom Geschäftsführer und COO Jens Ruhe, sein Co-Geschäftsführer und CEO Jan Poth und Frank Hensel, Principal beim HTGF, Einblicke in die seit 2016 bestehende Zusammenarbeit und die nächsten Meilensteine für das Unternehmen.

COO Dr. Jens Ruhe und CEO Dr. Jan Poth, Co-Geschäftsführer der SciRhom GmbH

Am Anfang von SciRhom stand eine nicht unstrittige wissenschaftliche Spekulation. Worum ging es dabei genau?

Jens Ruhe: Entgegen der zu der Zeit der Firmengründung vorherrschenden Meinung, entschied sich SciRhom einen neuartigen Ansatz gegen Autoimmunerkrankungen mit einem gegen iRhom2 gerichteten therapeutischen Antikörper zu verfolgen. Antikörper reagieren mit Strukturen auf der Oberfläche von Zellen. Die Lehrmeinung besagte aber, dass die Prozesse, die wir adressieren, vollständig im Inneren der Zellen und damit außerhalb der Reichweite eines Antikörpers ablaufen. Wir und allen voran unser wissenschaftlicher Mitgründer Carl Blobel, der die Grundlagen von SciRhoms Ansatz an einem renommierten US-Forschungsinstitut etabliert hat, waren anderer Überzeugung. Insofern schwamm SciRhom in der Gründungsphase in der Tat gegen den Strom.

Jan Poth: Dieser Mut des Gründerteams beindruckte mich, als ich 2022 von Boehringer Ingelheim zu SciRhom stieß – und tut es immer noch. Diese frühe Positionierung erlaubte es uns unter anderem, einen breiten Patentschutz für die von SciRhom entwickelte therapeutische Strategie aufzubauen. Das ist ein möglicher Wettbewerbsvorteil für ein fertig entwickeltes Medikament. Hinzukommt jahrelanges, wissenschaftlich sehr minutiöses Arbeiten, diesen Antikörper zu identifizieren, zu charakterisieren und mit positiven Testergebnissen zu untermauern.

Wie kam der HTGF ins Spiel und was überzeugte das Team dieses Risiko auch mitzutragen?

Frank Hensel: Insbesondere im Gesundheitssektor und in der Biotechnologie möchten wir als HTGF gerade die Ideen in Start-ups konvertieren, die auf mutigen Entscheidungen basieren und therapeutische Lösungen liefern können, die klar besser sind als die derzeitigen Standardtherapien.

Ich glaube, im Fall SciRhom waren zwei Faktoren auschlaggebend für das Investment. Zum einen kam eine der Stärken des HTGFs zum Tragen. Und zwar, dass wir in unserem rund 20-köpfigen Team in Life Sciences & Chemie diverse akademische und unternehmerische Erfahrung bündeln, um auch tief in die Wissenschaft eintauchen zu können. Ich selbst hatte Erfahrung im Bereich der therapeutischen Antikörper gesammelt und wusste, wie potent so ein Ansatz sein kann, wenn der Wirkstoff sorgfältig und smart entwickelt wird. Nicht umsonst sind Antikörpertherapien die erfolgreichste Medikamentenklasse derzeit.

Dr. Frank Hensel, Principal beim HTGF

Den anderen wichtigen Ausschlag hat klar die Qualität und die Erfahrung des SciRhom-Teams gegeben. Jens und sein Mitgründer Matthias Schneider hatten als Teil eines vorangegangenen Start-ups – der U3 Pharma AG – im Prinzip schon einmal die gesamte Wertschöpfungskette durchlaufen. U3 Pharma ging aus dem Labor von Professor Axel Ullrich am Max-Planck-Institut für Biochemie hervor. Auch hier entwickelte das Team therapeutische Antikörper bis in die klinische Erprobung. Und im Jahr 2008 erfolgte die Übernahme von U3 durch den Pharmakonzern Daiichi Sankyo für rund 150 Millionen Euro. Wir wussten also, dass das SciRhom-Team das nötige Rüstzeug mitbringt, um diese Herausforderung auch ein zweites Mal zu bewältigen. Und solche Seriengründer sind sehr wichtig für ein nachhaltiges Wachstum der deutschen Biotechnologiebranche.

Jens Ruhe: Interessanterweise hatte der Hintergrund unseres Teams auch einen Nachteil. Da SciRhom keine klassische Universitätsausgründung war und unser Team bereits über langjährige Entwicklungserfahrung verfügte, waren einige der für Gründerteams üblichen Fördertöpfe für uns nicht zugänglich. Dies verlieh der Frage, ob sich der HTGF als Frühphaseninvestor engagieren würde, zusätzliche Brisanz. Ein „Ja“ vom HTGF fungierte als wichtiger Nucleus, für die Ansprache und das Interesse weiterer, früher Kapitalgeber. Ich erinnere mich deshalb noch sehr genau an unseren ersten Besuch in Bonn – und wie beindruckt wir als Gründer waren, dass auf der Investorenseite sachkundige Fachleute saßen, die unsere Idee fundiert evaluieren konnten.

Wenn SciRhom mit ihrem Ansatz Erfolg hat, was könnte dies für Patienten mit Autoimmunerkrankungen bedeuten?

Jan Poth: Bei Autoimmun-Erkrankungen greift, vereinfacht gesagt, das Immunsystem fälschlich körpereigenes Gewebe an. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte wurden einige neue Medikamente hierfür auf den Markt gebracht. Diese Medikamente setzen in der Regel genau an einer Stellschraube an, um Krankheitssymptome zu mildern oder das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Allerdings sieht man in der täglichen Praxis, dass in Hinblick auf deren Wirksamkeit eine Art gläserne Decke erreicht ist. Der therapeutische Nutzen für den Patienten lässt sich mit diesem Paradigma nicht mehr steigern, es braucht also ein neues.

SciRhoms Ansatz zielt mit iRhom2 auf ein Molekül ab, dass sich an der Schnittstelle oder im gewissen Sinne am Ursprung gleich mehrerer krankheitsförderlicher Prozesse befindet, und verspricht dadurch deutliche Vorteile. Wenn man allerdings einen solchen Knotenpunkt adressieren will, muss man sehr spezifisch, sehr überlegt vorgehen, damit nur die Prozesse beeinflusst werden, die man beabsichtigt, und Nebenwirkungen minimiert oder ausgeschlossen werden.

Im Juni 2024 schloss SciRhom eine neue Finanzierungsrunde mit EUR 63 Mio. ab. Der HTGF beteiligte sich erneut, genauso wie 6 nationale und internationale Venture Capital-Fonds. Was ermöglicht das frische Kapital dem Unternehmen?

Jens Ruhe: Wir können unsere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten fortsetzen und intensivieren. Für den Start der ersten von drei klinischen Phasen hatten wir im Prinzip alles vorbereitet. Die Zulassungsbehörden haben ihre Zustimmung für den klinischen Prüfplan erteilt, ein renommiertes Klinikzentrum in Österreich fungiert als Partner und ein etablierter molekularer Biomarker hilft, den prinzipiellen Wirkmechanismus unseres Antikörpers im Menschen zu belegen. Wenn die erste Phase voraussichtlich in den kommenden Wochen beginnt, ist für SciRhom schon auch ein historischer Meilenstein erreicht. Mit den neuen Finanzmitteln wollen wir diese Studie nun durchführen, hierin die Sicherheit des Wirkstoffs weiter untermauern, und anschließend im Zuge weiterer Studien auch den klinischen Wirksamkeitsnachweis in zwei Patientenpopulationen erbringen. Dies zu erreichen, steigert naturgemäß den Wert des Entwicklungskandidaten und damit den Firmenwert um ein Vielfaches.

Wie würde der HTGF die SciRhom Finanzierung im nationalen und internationalen Kontext einordnen?

Frank Hensel: Die Finanzierung gehört zu den großen Runden auf der europäischen Bühne im laufenden Jahr und auch in den letzten Jahren insgesamt. Das Konsortium ist breit aufgestellt und mit den neuen Investoren Andera Partners, Wellington Partners, Hadean Ventures, der MIG Capital, Kurma Partners und Bayern Kapital hoch-qualitativ besetzt. Die Tatsache, dass SciRhom ausreichend finanziert war, um seinen Wirkstoff bis zur Klinikreife zu bringen, war hierfür sicher ein klarer Vorteil.

Nachdem das Thema Finanzierung im letzten Jahr für die deutsche Biotech-Branche etwas schwierig war, sieht es in diesem Jahr wieder positiver aus. Neben SciRhom haben Firmen wie unsere Portfoliofirma Tubulis, oder auch die Krebsspezialisten CatalYm und ITM jeweils dreistellige Millionen Euro-Summen von Wagniskapitalfonds eingeworben. Auch auf der Exit-Seite kann sich das Jahr 2024 bereits gut sehen lassen, wie wir zum Beispiel an der Übernahme der HTGF-Portfoliofirma Cardior Pharmaceuticals durch den dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk sehen. Novo erwirbt Cardior für einen Betrag von bis zu 1,025 Milliarden Euro, wenn bestimmte Entwicklungs- und kommerzieller Meilensteine erreicht werden.

Insgesamt passt die SciRhom-Finanzierung also gut in den derzeitigen Aufwärtstrend und zunehmende Reife des Sektors. Und SciRhom zeigt wieder einmal, dass es ausgezeichnete Wissenschaft in Deutschland gibt und dass solche Innovationen auch Investoren anlocken können.

SciRhom schlägt mit der Serie A-Finanzierung also ein neues Kapitel auf. Wie sähe ein Zwischenfazit aus?

Jan Poth: Für mich ist die Geschichte ein Paradebeispiel, wie Biotech-Firmengründungen am besten funktionieren. Ein von der Wissenschaft absolut überzeugtes Gründungsteam trifft einen Investor, der das Risiko einschätzen kann, aber nicht scheut. Durch das HTGF-Gütesiegel motiviert beteiligen sich private Investoren bei Gründung und in Folgerunden. Der HTGF fungiert somit ein bisschen wie eine Talentschmiede im Sport – mit dem richtigen Näschen, um im jungen Talent schon den kompletten Spieler von Morgen zu erkennen.

Jens Ruhe: In den letzten Jahren haben wir unseren therapeutischen Wirkstoff optimiert und charakterisiert, Kooperationspartner gefunden, ihn in größeren Mengen herzustellen, einen starken Patentschutz aufgebaut, und so manches mehr. Nun ist es an der Zeit, die nächsten wichtigen Schritte einzuleiten und unseren Ansatz in die klinische Erprobung, und damit näher zu Patienten, die bessere Behandlungsmöglichkeiten benötigen, zu bringen. Ohne den HTGF wäre diese erste Phase der Firmengeschichte sicherlich beschwerlicher gewesen, und eventuell noch nicht so weit vorangeschritten.

Und für den HTGF? Ist das Projekt so an einem „Happy End“ angelangt?

Frank Hensel: „Happy“ ja, aber „End“ sicher nicht. Die Rolle des HTGF wandelt sich nach einer solchen Finanzierungsrunde natürlich, aber wir begleiten SciRhom weiterhin. Solche Erfolge ermöglichen uns, wieder neue Aktivitäten anzustoßen und geben einem sicherlich auch persönlich einen kleinen „Push“.

Als Fazit würde ich festhalten, dass es uns erneut gelungen ist, ein biopharmazeutisches Start-up von der Konzeptphase bis in die klinische Erprobung des ersten Wirkstoffes zu begleiten – mittlerweile einer von annährend 20 Fällen in unserem Portfolio. Und das mit einer kumulierten Investitionssumme, die vergleichbar ist mit den Forschungsausgaben, die auch Pharmakonzerne für so eine Bilanz aufwenden müssen. Von daher sind solche Fälle eine erneute Bestätigung, dass der HTGF auch ein Motor für medizinischen Fortschritt sein kann.

Vielen Dank euch für diese spannenden und wertvollen Einblicke!

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